produktionsbande bei der Systemcheck-Fachkonferenz 2022

produktionsbande bei der Systemcheck-Fachkonferenz 2022

22.11.2022

Systemcheck ist ein Forschungsprojekt des Bundesverbands Freie Darstellende Künste und verfolgt das Ziel, die soziale Absicherung für freischaffende Akteur*innen der darstellenden Künste zu verbessern. Im Rahmen breit angelegter Studien ermitteln sie den Status quo und können so fundierte Handlungsempfehlungen ableiten. Zur Eröffnung der diesjährigen Systemcheck-Fachkonferenz am 22.11.2022 in Berlin waren kaja jakstat (zwei eulen) und luca sonnen (krass & krasser) eingeladen, ein Grußwort der produktionsbande zu überbringen, um die Perspektive freier Produzent*innen und Produktionsleitungen in den Freien Darstellenden Künsten in die Diskurse und Kontexte der Fachkonferenz zu integrieren.

die gesamte unten stehende rede als pdf ist auch online verfügbar.


eine beispielprojekt aus sicht der produzentinnen kaja jakstat & luca sonnen

Heute dürfen wir hier als Teil der produktionsbande sprechen. produktionsbande ist ein dezentral organisiertes, bundesweites Netzwerk für Produktionsleiter*innen, Producers, Art Workers, Strateg*innen und jene, die sich als Akteur*innen der künstlerischen Produktion in den freien darstellenden Künsten verstehen. Das Netzwerk ist offen, und es gibt die Möglichkeit, sich aktiv in den Arbeitsgruppen zu beteiligen oder sich durch die Teilnahme an den öffentlichen Formaten ins Netzwerk einzubringen oder über dessen Aktivitäten informiert zu bleiben. Also: eine herzliche Einladung an alle, die sich angesprochen fühlen.

Die Perspektive, aus der wir heute hier sprechen, ist die der Praktikerinnen. Tagtäglich sind wir damit beschäftigt, das, was wir freie darstellende Künste nennen, hervorzubringen. Dabei meinen wir nicht: Auf einer Probebühne Text und Bewegungen testen oder in einem Theaterraum vor Zuschauenden performen. Wir meinen: Organisation, Back Office, Strategieplanung, Geld beschaffen, Geld verwalten und abrechnen, Steuern, Verträge, Anträge, Beträge. Denn das gehört nun einmal auch dazu, zu dem freien in freie darstellende Künste.

Denn neben so einer Regisseurin oder so einem Choreografen oder überhaupt neben den Künstler*innen sind eben noch viele andere an dem Hervorbringen der sozialen Kunstform Theater beteiligt. Und diese teilen das Schicksal der Künstler*innen, was ihre prekären Arbeitsbedingungen angeht.

Doch langsam. Vielleicht braucht es einen kurzen Vogelflug über den Lebenszyklus eines Vorhabens in den freien darstellenden Künsten als gemeinsame Wissensgrundlage. Dabei sind sich Festivals, Konferenzen oder Theaterproduktion strukturell ähnlich. Gehen wir für heute von einer Theaterproduktion aus: Aller Anfang steckt in der Selbstbeauftragung der Akteur*innen in diesem Feld. Niemand wird unsere Beispielskünstlerin Montag morgen anrufen, um ein Theaterstück bei ihr in Auftrag zu geben. Sie wacht wahrscheinlich Samstag Nacht auf und hat eine gute Idee. Oder – um dem Geniekult nicht nach dem Mund zu reden –: Sie weiß um die nächste Förderdeadline, hat sich Donnerstagvormittag – nachdem sie das Kind in der Kita abgegeben hat – ein Zeitfenster für Konzeptentwicklung in ihren Kalender eingetragen, in dem sie dann eine gute Idee hat. Sie hat also diese gute Idee.

Aber noch hat sie nichts anderes: kein Team, keine unterstützende Struktur, kein Geld, um das Bühnenbild, die Schauspielenden oder sich selbst zu bezahlen. Also schreibt sie ein Konzept, kontaktiert Kolleg*innen, begeistert einen Spielstättenleiter (der außer seiner Begeisterung leider auch nichts zu dem Projekt dazu geben kann, denn seine Spielstätte knappst auch an den gestiegenen Heizkosten rum), und schreibt schließlich - eventuell mit der Unterstützung von einer Produzentin, z. B. einer von uns beiden, Kaja oder Luca - einen Antrag. Vor Corona waren ihre Chancen von einer Jury Geld zugesprochen zu bekommen etwa 10:1. Mit Neustart Kultur waren sie deutlich besser. Wie es ab Juni 2023 aussieht, angesichts steigender Honoraruntergrenzenempfehlungen, Inflation und sich überlagernder Krisen, wissen wir noch nicht. Vermutlich schlechter.

Bis jetzt hat unsere Künstlerin schätzungsweise zwischen 10 und 25 Stunden gearbeitet. Diese Stunden werden unbezahlt bleiben, sollte sie eine Förderabsage bekommen. Haben wir kein Ausfallhonorar vereinbart, bleibt auch unsere Arbeit an Kosten- und Finanzierungsplan und Antragstext unbezahlt.

Aber unsere Künstlerin ist sehr gut, oder sie hat einfach Glück: Sie bekommt eine Zusage. Jetzt steigen wir Produktionsleiterinnen ein, denn nun ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Projekt stattfindet, dass wir bezahlt werden. Gemeinsam suchen wir weitere Fördermöglichkeiten, wir planen Proben und Aufführungen. Kümmern uns um Absprachen und Verträge, mit Kooperationspartnern, mit dem Team. Spielen Email-Tennis bis zur Ermüdung.

Wie auch alle anderen im Team, arbeiten wir Produktionsleiterinnen auf Honorarbasis mit Werkverträgen. Dabei teilt sich das Team sozialversicherungsrechtlich in zwei Klassen: Die bessergestellten Künstlerinnen können sich über die Künstlersozialkasse (KSK) versichern. Die Hälfte ihrer Sozialabgaben wird damit von genau dieser KSK übernommen. Sie zahlen auch in jedem Fall in die gesetzliche Rentenkasse ein.

Gleichzeitig kann eine Vielzahl von ihnen sich auch noch von der Umsatzsteuer befreien lassen. Ein entscheidender Vorteil, weil unsere Auftraggeberin, die Beispielkünstlerin, hat sich längst – auf Anraten ihrer Produktionsleiterin – von der Umsatzsteuer befreien lassen. Sie erhält ihre Zuwendung - also das Geld vom Förderer - als Brutto-Betrag, die Umsatzsteuer ist immer enthalten in allen Zahlen. Und so gibt sie die Honorare an ihre Auftragnehmer*innen weiter: als Bruttohonorare.

Das bedeutet, dass alle am künstlerischen Prozess Beteiligten, die weder in die KSK noch sich von der Umsatzsteuer befreien können, de facto 30 % weniger verdienen als die KSK-versicherte, umsatzsteuerbefreite Künstlerin. Das sind neben Produktionsleiter*innen, Techniker*innen, Assistenzen, in Teilen auch Öffentlichkeitsarbeiter*innen, Theaterpädagog*innen, Dokumentarist*innen und so weiter.

Da ist es fast ein Glück, dass viele, auf die das zutrifft, mit ihrem Jahresverdienst ohnehin nicht über die Kleinunternehmer*innengrenze kommen, die bei 22.000 € im Jahr liegt. Genau: Ihr Jahresverdienst liegt darunter.

Vergessen wir nicht unsere Beispielproduktion, die nicht nur – großes Glück – eine Spielstätte und Förderung und ein wunderbares Team gefunden hat, sondern nun auch wirklich Premiere hat. Und 6 Vorstellungen. Wahnsinn! Und dann? Danach rechnet die Produktionsleitung ab: Sie fordert Rechnungen ein, zahlt vor Ablauf der Verausgabungsfrist. Sie erstellt lange Excel-Tabellen, die als Verwendungsnachweis an Stiftungen, Drittmittelgeber*innen und an die Kulturverwaltung von Bund, Land und Kommune geschickt werden. Hoffentlich schaut kein Rechnungsprüfer zu genau hin, denn ob ich das Bundesreisekostengesetz wirklich in Gänze befolgt habe, obwohl ich mir so Mühe gegeben habe, kann ich nicht garantieren. Am Ende sind wir Produktionsleiterinnen Übersetzerinnen, hoffentlich in Kenntnis der wichtigsten Regeln und mit Mut zur (großen) Lücke. Denn wir helfen den Graben zu schließen zwischen den Regeln und Gesetzen der Kunst und denen von Verwaltung, öffentlichen Geldern, Steuern und BGB. Dabei haben wir weder Verwaltungswissenschaften, Jura noch Steuerrecht studiert. 

Meist haben wir irgendetwas Geisteswissenschaftliches studiert. Schon da waren viele von uns diejenigen, die etwas besser mit Zahlen, Excel und Multitasking umgehen konnten. Wir Produzentinnen und Produktionsleiterinnen sammeln in unseren Positionen jahrelang Erfahrung, eignen uns Wissen aus vielen verschiedenen Quellen an, lernen Tricks aus ganz unterschiedlichen Arbeitsbereichen, behalten den Überblick. Wir erklären Außenstehenden immer wieder neu, wie unser Arbeitsalltag aussieht. Dabei haben wir mit einem ziemlichen Braindrain zu tun, denn uns haben Kulturinstitutionen auch gerne unter Vertrag. Und einige von uns – besonders die, die dann Kinder kriegen – wollen vielleicht ab einem gewissen Alter auch raus aus der Unsicherheit der Selbstständigkeit, die keine Kinderkranktage kennt. Und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Und keine Rentenversicherung. Und keine ... ach, lassen wir das an dieser Stelle.

Unsere Beispielproduktion ist am Ende ihres Lebenszyklus angelangt: Eine Gastspielförderung oder die Einladung zu einem Festival hat es für sie nicht gegeben. nach 1,5 Jahren Vorlauf, 6 Wochen Proben, 1 Woche Aufführungen bleibt ein schlecht abgemischter Mitschnitt, den unsere Beispielkünstlerin auf Vimeo hochgeladen hat. 3 Schauspieler*innen, 1 Ausstatterin, 1 Video-Designer, 1 Lichtdesignerin, 1 Fachfrau für Öffentlichkeitsarbeit, 1 Assistentin, die Beispielkünstlerin und wir sowie ca. 2 Leute in der Spielstätte haben auf Honorarbasis an dieser Produktion mitgearbeitet. Rechnen wir das Honorar auf die Arbeitszeit um, müssen wir – die wir ja das Portemonnaie für die Produktion in der Hand gehalten haben – davon ausgehen, dass nach Abzug von entstandenen Kosten, Umsatz- und Einkommensteuer sowie Krankenkassenbeitrag bei den meisten eine Bezahlung auf Mindestlohnniveau hängen bleibt. Zum Schluss stellt sich dann noch die Frage: Und was ist mit der Altersvorsorge?